Im großen und ganzen bin ich froh in Deutschland zu leben (auch wenn mir hier das Meer fehlt). Das Gesundheitssystem ist prima und als kranker Mensch werde ich größtenteils von meiner Kasse und den Versorgern gut behandelt.
Nur die Bürokratie treibt mich manchmal um.
Seit geraumer Zeit wurden viele meiner Verordnungen von der Kasse nicht mehr genehmigt. Enttäuscht war ich, als das Deckenlift-System, der Sprachassistent gleich zweimal und nun auch noch das Anti-Dekubitus-Kissen für den Rollstuhl abgelehnt wurde. Mir fehlte die Kraft jedes Mal das Fass des Widerspruchs zu öffnen. Der parallel laufende Antrag für das persönliche Budget ist schon ein dermaßen großer bürokratischer Kraftakt, dass ich damit voll ausgelastet war.
Meine Hausärztin (mann bin ich froh, dass ich sie habe) war die Tage so geschockt, dass sie selber bei der Kasse angerufen hat, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dort erfuhr sie Tataa dass es nicht an der Kasse liegt, sondern Rezepte falsch ausgestellt wurden und dass das Sanitätshaus auf Rückfragen einfach nie reagiert hat.
Deswegen wurden dann die Dinge abgelehnt.
Rezepte wurden falsch ausgefüllt? Formfehler sozusagen…
Und so verstreicht die Zeit. Schnarch.
Das Treffen mit dem Sanitätshaus bezüglich Deckenlift und Kissen war übrigens Mitte Februar. Jetzt haben wir? Richtig…Mitte Juni. Das ist für Menschen wie mich mit einer fortschreitenden Krankheit wie ALS ein sehr langer Zeitraum. Und ehrlich gesagt bin ich heute noch immer fassungslos, dass im Jahr 2020 solche Dinge passieren. Aber hey, was wundere ich mich, an der Schule meines Sohnes gibt es Lehrer ohne Computer und WLAN gibt’s auch nur im Computerraum. Kein Scherz.
Aber nun zurück zum Antrag des persönlichen Budgets.
Denn ICH lasse mich nicht abschrecken und habe mittlerweile alle Unterlagen an die dritte Anlaufstelle geschickt (von Kontoauszügen der letzten drei Monate, bis über alle Versicherungen, Heizkostenabrechnung, Privat-Vermögen und Gutachten aller Art, Kaufverträge und Kfz-Scheine … Insgesamt eine Liste mit 20 Punkten habe ich vorgelegt.
Hose runter sozusagen. Und nein, ich habe keinen Bestattungsvorsorge-Vertrag (dritte Frage). Eingereicht habe ich den ersten Antrag bei der Kasse Ende März. Dann kam ein sehr langer Bogen zum Ausfüllen plus eine Liste mit Dingen (s.o.), die ich vorlegen sollte. Und zwar dem Lageso. Dann bekomme ich Post vom Bezirksamt und muss erneut einen sehr langen Antragsbogen ausfüllen und eine noch längere Liste vorlegen. Sehr viel Zeit, sehr viele Formulare und alles analog.
Gut 2020 eben. Was erwarte ich denn, immerhin haben sie WLAN.
Da ich aber immer wieder gefragt werde, was das denn das „Persönliche Budget“ überhaupt ist, versuche ich es hier mal zu erklären.
Das Persönliche Budget ist eine Initiative vom BMAS und bedeutet, dass Menschen mit Handicap, also ich, anstelle von Dienst- oder Sachleistungen zur Teilhabe ein Budget wählen. Dieses Budget bekomme ich gestellt. Je nach Bedürfnislage beantragt man stundenweise Unterstützung.
Mit diesem Geld kann ich zum Beispiel die Hilfe von Assistentinnen und Assistenten bezahlen. Das bedeutet mehr Unabhängigkeit und mehr Selbstbestimmung. Mit dem Persönlichen Budget kann ich selbst entscheiden, wann, wo und wie ich Leistung in Anspruch nehme. Sprich ich werde selber zum Arbeitgeber und stelle Pfleger oder Assistenten selbst an und bezahle diese.
Das bedeutet aber auch mehr Planung und Organisation.
Zum Beispiel muss ich selbst nach Assistenten suchen, diese einstellen und einen Arbeitsplan festlegen. Falls Ihr zufällig jemanden kennt, der dafür in Frage käme, freue ich mich über Vermittlung. Ich kann das Geld für unterschiedliche Hilfen verwenden. Zum Beispiel für Unterstützung: im Haushalt, bei der Pflege, bei Behördengängen, bei Arztbesuchen, bei der Arbeit, für Fahrdienste, bei Kino- und Theaterbesuchen.
You name it. Natürlich muss ich nachweisen, wofür ich das Geld verwende. Ist klar.
Hoffe ich konnte etwas Licht ins Dunkle bringen.
Morgen geht’s mit Sack und Pack ins Allgäu, eine lange Fahrt liegt vor uns und ehrlich gesagt wünschte ich mir mal wieder meinen Freund Scotty herbei.
Foto von pearpicker